Lella hatte mich, wie immer, an der Hand. Schon lange durfte ich die Treppe hinunter steigen, aber nur an der Hand. Lella sagte, wir gehen zum Metzger Buser und zum Milch holen. Ich hatte auch meine eigene kleine Einkaufstasche. Opa kaufte sie mir, als wir bei Tante Mina in Augsburg waren. Tante Mina hatte auch so schöne weiße Haare wie Lella. Im Hausgang klopfte sie noch an die Hintertüre des Lebensmittelladens und sagte zu Friedl, was sie brauchte.
Friedl richtete immer alles zusammen in einen Karton und stellte den auf die Holztreppen. Lella öffnete die Haustüre mit der Milchkanne in der Hand ohne meine Hand loszulassen. Die Milchkanne fiel auf den Steinboden und machte einen fürchterlichen Krach. Das blaue Email an der äußeren Seite sprang ab, und ich sagte: “Macht, nix Opa macht’s doch wieder ganz.” Oma hielt sich am Türgriff fest, und dann fiel sie wie ein Baumstamm auf den harten Steinboden. “Lella, Lella, du hast dich am Kopf gestoßen!” Schnell schob ich meine Hand unter ihren Kopf. Die Ladentüre ging auf. Friedl steckte den Kopf heraus, und dann ging altes drunter und drüber. Die alle brachten meine Lella in ihr Schlafzimmer, und Opa weinte. “Du brauchst nicht weinen, Opa. Der Doktor macht eine Binde um Lellas Kopf, und ich helfe dir, die Milchkanne nieder ganz zu machen.”
Jetzt kommen alle in Opas Zimmer mit dem großen Schreibtisch, der so schön glänzt und so viele kleine Schubladen hinter dem bunten Glas hatte. Ich saß auf Opas Schoß und die redeten alle durcheinander. Es waren auf einmal so viele Leute da, und Maria – sie weinte auch. Die sitzen alle da und reden, und Lella ist alleine im Schlafzimmer. Ich gehe zu ihr. Leise öffnete ich die Schlafzimmertüre und flüsterte “Lella, schlaf’ nur weiter, ich setze mich zu dir.” – Warum haben die Lella’s Hände unter die Decke gesteckt und ihre Haare so komisch gekämmt? – “Ich halte deine Hand, und dann kannst du besser schlafen.” Jetzt weiß ich, warum die Hände unter der Decke sind: Weil Lella friert. Ich flüsterte: “Lella, ich leg mich zu dir , dann bist du bald wieder warm.”
Opa kam und sah mich neben Oma liegen, und er lächelte und wollte, dass ich aus dem Bett gehe, weil der Doktor Oma untersuchen musste. Ich wollte dableiben, damit er Oma nicht weh tut, aber Opa nahm mich auf den Arm und sagte: “Der Doktor kann deiner Lella nicht mehr weh tun.” Jetzt saßen die Leute auch noch in der Küche , und Maria sagte, bring’ sie runter zu Lore und den Buben. Die Buben kann ich doch nicht leiden, weit die immer so wild sind und alles kaputt machen.
Der Doktor geht und die Schwester auch und ich schlich mich wieder zu Lella und legte mich neben sie und schlief ein. Am nächsten Morgen wachte ich in meinem Kinderbett auf, aber es stand bei den Buben im Zimmer. Jetzt wusste ich überhaupt nicht mehr was los war. Leise ging ich nach oben. Opa war in seinem Schreibzimmer und hatte viel Geld auf seinem Schreibtisch liegen. Er sagte, er müsse die Leute bezahlen, die Lella abholen. Jemand holt meine Lella ab? Wo geht Lella hin? Kann ich mitgehen? Opa weinte wieder und versuchte, mir zu erklären, dass Lella fortgehen muss zum “lieben Gott”. Das macht nix. Opa, ich gehe ja mit ihr. Nein, da kannst Du nicht mit, Oma muss alleine gehen.
Das verstand ich überhaupt nicht, weil Lella mich im kleinen Leiterwagen überall mit nahm. Sie erzählte mir immer Geschichten wenn wir unterwegs waren. Opa erwischte mich, als ich ins Schlafzimmer schaute. Da waren Männer mit schwarzen Kitteln und weißen Handschuhen, die Lella in eine große schwarze Schachtel legten. Als die schwarzen Männer einen Deckel auf Leila legten, schrie und tobte ich. Die Lella bekommt doch keine Luft. Schreien war immer gut, weil ich dann immer kleine Pünktchen sah, dann einschlief und gleich wieder aufwachte. Opa nahm mich auf den Arm und stand mit mir am Schlafzimmerfenster. Er sagte, schau Lella darf mit den schönen Pferden in der schönen Kutsche fahren und später besuchen wir sie. Sie war so schön, so viele Blumen und zwei Kerzen waren um ihr Bett.
Ich flüsterte Opa zu, der Doktor hat das Pflaster weggemacht, und Lella schläft gut. Sie hat kein Weh mehr, du brauchst nicht mehr weinen. Maria hat mich am nächsten Morgen angezogen und gesagt. Du darfst mit Opa gehen, und ich komme mit den Buben nach. Es waren so viele Leute, die Oma anschauten, und alle flüsterten. Opas Hand hielt mich sehr fest, als wir ein Stückchen weiter gingen. Er weinte noch mehr und sagte, die bringen Deine Lella. Ich wartete vor einem großen Loch, das mir Angst machte, da sagte Opa, da ist Deine Leila und zeigte auf die große schwarze Schachtel, die die Männer trugen.
Opa ließ meine Hand nicht los, als ich dem großen schwarzen Kasten entgegenlaufen wollte. Leise sagte er, wir müssen hier bleiben. Der große dicke Mann redete und redete, und dann banden die schwarzen Männer die Schachtel an dicke Stricke und ließen sie in das große Loch hinunter. Ich konnte nicht begreifen, dass Opa das zuließ, löste mich von seiner Hand, und schreiend sprang ich auf die große Schachtel zu, die schon halb unten war. Maria erwischte mich gerade noch, und Opa nahm mich auf den Arm. Da waren die bunten Punkte wieder, und als ich aufwachte, lag ich auf der Küchenbank mit meinem Kissen.
Plötzlich war alles anders. Opa hatte ein Bett in seinem Schreibzimmer, ich musste bei den Buben schlafen und musste zu Maria Mama sagen. Zu dem Mann, vor dem ich mich immer gefürchtet hatte, musste ich Papa sagen, und die haben jetzt das Schlafzimmer von Opa und Lella. Ich durfte nie mehr zu Opa, nur am Sonntag mit in die Kirche und hinterher ins Wirtshaus Lamm. Im Lamm war ein Bierkrug mit Opas Namen und ein kleiner Krug für Limonade, der mir gehörte. Kirche und Wirtshaus waren noch das gleiche geblieben. Opa schlief nach wie vor in der Kirche und schnarchte sogar manchmal. Ich musste ihn immer noch aufwecken, wenn alle Amen sagten. Dann gingen wir ins Lamm, aber hinterher war es nicht mehr wie vorher. Es hatte sich vieles geändert: Lella war nicht zuhause und kochte mein Lieblingsessen Stampf mit Schnitzel. Nie mehr durfte ich das Sonntagsessen bestimmen, und niemand machte mir um drei Uhr morgens ein Eingeweichtes. Sogar der gute Duft vom Bäcker im nächsten Haus war nicht mehr da, weil ich woanders schlief. Jede Nacht wachte ich, wie gewohnt, um drei Uhr auf, wartete geduldig, ob der Bäcker Graf ans Fenster klopfte und das Milchbrötchen rüberreichte, weil dann bekam ich immer mein Eingeweichtes. Heiße Milch, das Brötchen gebröckelt und darüber viel Zucker.