SoS – 08 Der Mordplan

Es war einer von den typischen Abenden, an denen ich mich mit Nigg gestritten hatte, und Hans natürlich hatte Niggs Partei ergriffen. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, dass ich für meine Geschwister verantwortlich war und die mir durch ihre wilde Unart auch noch das Leben schwer machten. Wenn ich alles sauber hatte, machten sie es schmutzig.

Da ging mir das Temperament durch, und ich verdrosch zuerst Hans, und dann wollte ich auf Nigg losgehen. Der aber wehrte sich, er war auch stärker. So fing eine böse Schlägerei an, bis ich nach dem Küchenbesen griff und den Stiel als Waffe benutzte. Ich traf ihn hart, aber er schlug noch immer zurück, bis der Stiel dann endlich an seinem Arm zerbrach. Der Arm schwoll in Sekunden an, und Nigg hatte starke Schmerzen. Es tat mir auch im gleichen Moment leid, und wir versuchten zusammen, die Schwellung durch kaltes Wasser zu stoppen. Dann kehrte endlich Ruhe ein. Wir saßen am Küchentisch und fingen an über unser Kinderleben nachzudenken. Je mehr wir redeten wurde uns klar, dass es keinen Sinn hatte, was immer wir auch taten, wir mussten zusammenhalten.

Seit längerer Zeit gingen wir sehr spät ins Bett, da, egal wenn der Alte nach Hause kam, er immer einen Grund fand uns aufzuwecken und je nach Mut uns auch mitten in der Nacht zu verprügeln. Wir redeten zum ersten Mal miteinander über unsere Ängste. Hans würde meistens von ihm verschont, da er zwei Jahre jünger war und der Liebling der Alten. Für ihn setzte sie sich ein und schob Nigg und mir die Schuld zu. Nigg erzählte mir wie er immer die Automarken ausmachte, wenn er im Bett lag, die in die Nähe des Hauses kamen um festzustellen, ob es die Alten waren.

Ich tat das gleiche, nur ausführlicher. Immer wenn ich die Automarke am Motorengeräusch erkannte, wartete ich, ob die auch wirklich in den Hof auffuhren. Dann fing ich an zu zittern. Jetzt schließen sie die Türe auf, jetzt kommen sie die Treppe nach oben, jetzt sind sie in der Küche. Ich hielt die Luft an und horchte, ob ich verstehen konnte, was sie sagten. Das waren immer Minuten solang wie die Ewigkeit. Wurden dann die Stimmen lauter, wusste ich, dass kurz darauf immer der verhasste Pfiff folgte und wir wie die Soldaten antreten mussten, um für was auch immer ‘unsere gerechte Strafe zu empfangen’.

Manchmal wussten wir garnicht warum und fragten. Er sagte immer nur, raus, in die Waschküche, ich komme nach, und Du weißt schon warum. Er erklärte nie und wenn, dann hinterher. In der letzten Nacht haben wir alle drei die Prügel bekommen für etwas, was wir gar nicht getan hatten. Er prügelte uns für die kaputte Fensterscheibe im Laden, der im Erdgeschoss des Hauses war. Er fragte Nigg zuerst und Nigg sagte ihm, dass es der Rieder Wolfi gewesen sei. Alles was er daraufhin sagte war, Du lügst. Dann fragte er mich, und ich sagte dasselbe, Hans ebenfalls, Er brüllte verlogene und feige Bälger, und wir mussten noch einmal einer nach dem anderen mitten in der Nacht in die Waschküche.

Heute fassten wir den Entschluss, dass wir etwas unternehmen müssen, da wir von niemand Hilfe bekamen, ja nicht einmal von unserer Mutter. Zuerst suchten wir einen Ausweg durch Ausreißen. Es war wohl klar, dass wir von der Polizei dann wieder nach Hause gebracht werden und der Zirkus von vorne anfing. Also blieb nur noch eins, der Alte musste verschwinden, aber wie? Nigg machte den Vorschlag, die Bremsen an seinem Mercedes anzufeilen, dann würde er sich derrennen.

Das war nicht gut. Das konnte jeder Mechaniker hinterher feststellen. Welche Möglichkeit hatten wir noch? Vergiften war zu riskant, der Alte ist ein Satan und überlebt es letztendlich noch. Wir wussten einfach nicht wie. Nigg machte den Vorschlag, die große Axt über der Türe zu präparieren, so dass sie, wenn er die Türe öffnet, ihn erschlägt. Das ging auch nicht, weil, wenn die Alte die Türe zuerst öffnet, trifft es sie. Da würde es aber auch keine Unschuldige treffen, meinte Hans. Aber das Problem sei dann wieder nicht gelöst. Wir planten weiter, aber was wir auch erfanden, schien nicht ohne Probleme zu gehen. Wir trösteten uns, dass uns in den nächsten paar Tagen sicher etwas absolut Sicheres einfallen würde und wir nur noch ein bisschen durchhalten müssten. Die Hoffnung allein half mir zu glauben, dass der Alte bald nicht mehr da wäre, und ich konnte weitere Attacken seinerseits besser überstehen und auch die Tatsache, dass wir anfingen, wenn auch langsam, uns gegenseitig das Leben nicht noch schwerer zu machen.

Wir lebten zwar in einem Haus zusammen, hatten aber nie eine Geschwisterbeziehung wie andere Kinder, da wir ständig beschäftigt waren uns selbst zu verteidigen und zu arbeiten. Wir hielten nur zusammen, um uns gegen unseren gemeinsamen Feind (unsere Eltern) zu wehren. Spielen mit Puppen oder andere Spiele waren laut meiner Mutter Unsinn, Zeitverschwendung und nur für faule Kinder. Wir blieben nie sitzen, wenn unsere Eltern den Raum betraten, da immer das erste Wort war, habt Ihr nichts Besseres zu tun als rumzulungern? Und dann folgte eine Liste von Dingen mit Zeitangabe, die zu erledigen waren. Ihr Lieblingsspruch war, ich werde Euch gleich die Faulheit austreiben. Ständig waren wir auf der Hut. Als wir etwas älter wurden, fanden wir Wege, uns ein bisschen Zeit zu stehlen und wenn es sein musste mit Lügen.

Es war sonderbar: Mein Vater war nie mit der einfachen Wahrheit zufrieden. Wenn etwas Simples passierte, mussten wir eine Geschichte, die schwerer wog als die Wahrheit daraus machen. Manchmal halfen uns dann diese Lügen keine Prügel zu bekommen. Er hatte einen Hang zur Dramatik. Hitlers Aufmärsche und seine für ihn

überzeugenden Reden waren sein Leitfaden. Selbstverständlich auch die Aktionen, die mit Gewalt zum “glorreichen” Ziel führten. Mir hängen heute noch seine Worte in den Ohren. Man muss, wenn man ein Ziel erreichen will, alle, die einen daran hindern wollen, aus dem Weg räumen.

Er hoffte sogar, dass bald ein neuer Mann wie Hitler Deutschland führen würde, um das geniale und außerordentliche Werk des Führers zu vollenden. Ich hörte diesen speziellen Unterhaltungen genau zu und registrierte, dass niemand an dem Tisch mit ihm übereinstimmte. Immer wenn er etwas zu sagen hatte, tat er es im Befehls- oder in einem drohenden Ton. Sollte er bei Gelegenheit einmal Witze gemacht haben, waren sie rassistischer und sarkastischer Natur, und er erwartete, dass man sie verstand, damit übereinstimmte und lachte. Wer sie nicht verstand, war entweder ein ungebildeter Pöbel oder nicht von der Weltelite.

Immer und immer wieder musste ich das gleiche hören, aber umso mehr ich hörte, desto mehr wuchs meine Aggression gegen ihn und seine Lebensphilosophie. Selbstverständlich hatte ich damals kein besseres politisches Bild um zu vergleichen, aber ich fühlte, dass das nicht die wahre Einstellung zum Leben sein konnte. Ich verabscheute jede Art geistiger und körperlicher Gewalt, weil ich sie in allen Details kannte und täglich zu spüren bekam.