SoS – 05 Nuschis Tod

Es war Nachmittag, und die Alte war nicht in der Tankstelle und wir auch nicht. Zur Abwechslung mussten wir zu Hause arbeiten. Die Frau, die sonst zum Putzen und Waschen gekommen war, kommt nicht mehr. Die Alte hat gesagt, sie kann Euren Vater nicht leiden. Ich freute mich darüber, aber es war schlimm, weil mir mein Rücken weh tat vom Waschen und Bodenschrubben. Sie musste später nach Donauwörth. Bevor sie ging, sagte sie, wenn die Buben nach Hause kommen, sollen sie die Nuschi sauber machen. Nuschi war unser Meerschweinchen. Ihr Fell war schwarz-weiss-goldbraun. Wir haben sie von den Pfeifers von der Burgschänke bekommen, weil die sie nicht mehr wegen der Wirtshausküche behalten durften. Wir Kinder freuten uns, weil wir etwas hatten, das nicht böse war und wir streicheln konnten.

Die Alte war schon bald zurück, und die Buben hatten die Meersau nicht sauber gemacht. Die hat doch so einen Wutanfall gekriegt und nur noch geschrien, dass wir alle es garnicht wert sind, etwas zu besitzen, weil wir undankbare Kinder sind und den Teufel im Leibe hätten. Nach dem Schreien kamen die Drohungen, und von allen die schlimmste war immer, “wartet nur, bis Euer Herrgott heimkommt!”

Er kam, Nigg und ich zitterten wie immer und bereiteten uns vor mit dem Gummischlauch in die Waschküche zu gehen, einer nach dem anderen. Aber wir wurden überrascht. Wir wussten nicht, was wir denken und fühlen sollten, als er sagte, er mache ein Ende zu diesem Problem. Nach endlosen Flüchen und Erklärungen, dass wir es garnicht wert seien, irgend etwas zu besitzen, da wir faul und dumm seien, er uns nie haben wollte, es ihre Schuld sei, dass wir geboren wurden, und nur seine Gutmütigkeit es uns erlaube zu leben, denn er hätte uns schon längst erschlagen, aber wir seien es nicht wert, dass er wegen uns in Zuchthaus gehe.

Er kam er zu einem Entschluss, und ich ahnte, was er vorhatte. In diesem Moment verirrten sich meine Gedanken. Halb ohnmächtig vor Angst um Nuschi war ich doch halb froh, dass ich nicht in die Waschküche musste. Er verließ die Küche, meine Mutter rannte ihm nach und bettelte und flehte. Wir saßen auf der Küchenbank wie versteinert. Nigg sagte nach einer endlosen Minute des Schweigens: “Was jammert die denn, sie wollte es doch so.”

Er kam zurück, mächtig und hoheitsvoll, wie ein General in Hitlers Armee und sagte mit einer schneidenden Stimme: “Bis ich zurück bin, will ich die Meersau nicht mehr sehen.” In diesem Moment erwachte die leise Hoffnung in mir, es ist nichts passiert. Aber das änderte sich in der nächsten Sekunde, als er sagte, was der Meersau passiert, ist nicht so schlimm wie das, was Euch passiert, wenn Ihr noch einmal versucht, meinen Kommandos nicht zu gehorchen, und er hoffe, dass wir daraus gelernt hätten. Nigg und ich mussten in den Garten und Nuschi begraben. Von diesem Tag an wusste ich, dass ich seine Gedanken erraten konnte, und sie fast in denselben Worten artikulieren konnte, die er benutzte. In diesem Moment glaubte ich auch, er müsse Gott ähnlich sein, da er sich das Recht gab, ‘Leben zu nehmen’.