Bebo wartete auf mich auf der Holzbrücke als ich aus der Schulgasse kam. Er kam näher als ich die Steinbrücke erreichte und flüsterte. Ich hab’ was für Dich, komm’ gleich ins Wehr. Das Wehrle war immer ein Platz für Geheimnisse, und es lag unterhalb der Häuser und war schlecht einsehbar. Er rannte voraus, damit niemand uns zusammen gehen sah. Ich ging sehr langsam, und die Angst, dass jemand gesehen haben könnte, dass Bebo zu mir gesprochen hatte, brachte alle Drohungen in über lebensgroßen Bildern “niemand, der etwas auf sich hält, spricht mit einem Halb-Neger.”
Neger werden geboren um Sklaven zu sein. Die Amerikaner haben die Neger als Kanonenfutter in ihrer Armee, damit die weiße Rasse geschützt wird. Die Amerikaner selber gehören aber auch nur zur zweiten Klasse der Menschheit, weil sie nicht mehr reinrassig sind. Hitler wusste schon was er tat; er wollte das edle deutsche Volk vom Abschaum der restlichen Menschheit schützen. Wir gehören zur ersten Elite und werden nie mit Untermenschen umgehen. Dem seine Mutter, die Negerschlampe, kann froh sein, einen dummen anständigen Arbeiter gefunden zu haben, der diesen Halbaffen füttert und kleidet. Sollte ich Euch erwischen, dass Ihr mit diesem Halbaffen redet, schlage ich Euch tot. Wie oft habe ich mit Bebo gesprochen? Wie oft muss er mich tot schlagen? Da kommt’s auf einmal mehr oder weniger nicht an.
Außerdem glaube ich nicht, dass die dumm und bösartig sind. Bebo war immer sehr anständig und freundlich, ja, er hat mich sogar gestreichelt, als er meine Wunden vom Gummischlauch am Rücken sah. Und außerdem geht die braune Farbe nicht ab und bleibt auf der weißen Haut nicht kleben. Seine Mutter hat ja auch keine braune Flecken, warum sagen dann alle Neger-Schickse zu ihr, und was ist das überhaupt? Und noch einmal, außerdem, ich finde seine braune Haut schön wie Samt.
Beim Wehrle angekommen, noch einmal nach allen Seiten umschauend, rannte ich die zehn Steintreppen hinunter. Was ist los? Schnell, bevor jemand kommt! Bebo erzählte mir, dass, wenn die Schule nächste Woche zuende ist, er nach München geht und als chemischer Laborant eine Stelle antritt. Das war ein Schock. Jetzt habe ich niemanden mehr. Er sagte weiter, dass ich stark sein solle und noch zwei Jahre durchhalten, dann wäre ich mit der Schule fertig und schon vierzehn. Dann würde er mich holen, damit mein Vater mich nicht mehr schlagen könnte. Ich wurde sehr traurig, aber ich konnte schon lange nicht mehr weinen. Dann zeigte er mir ein schönes feines goldenes Halskettchen mit einem Kreuz. Das ist das einzige, das meine Mutter von meinem Vater bekommen hat und jetzt mir gehört. Danach legte er es mir an und sagte, ich möchte es Dir geben, Du warst der einzige Mensch außer meiner Mutter, der nett und gut zu mir war. Halb traurig, halb stolz steckte ich es unter meinen Pullover und rannte so schnell ich konnte nach Hause.
In der Hofauffahrt stand der neue hellblaue Wartburg, und ich glaubte mein Herz stünde für Sekunden still. Schnell fasste ich mich und ging ins Haus und die Treppen hinauf. In der Küche stellte ich fest, dass ich nur zehn Minuten zu spät war, und ich würde schon eine gute Ausrede finden. Da hörte ich den nervtötenden Pfiff, der aus dem Wohnzimmer kam. Oh Gott, hilf mir, ich bin doch nur zehn Minuten zu spät. An der Wohnzimmertüre hörte ich eine zweite Stimme, ein Stein fiel mir von meinem Herzen.
Danke Gott, es wird nichts passieren, es ist ja jemand da. Vorsichtig klopfte ich an, und seine militärische Befehlsstimme sagte: “Komm’ rein'” Langsam öffnete ich die Tür einen Spalt und fragte, hast Du gerufen? Er riss die Tür auf und stellte sich mit den Fäusten in der Hüfte vor mich und brüllte: “Da ist die Negerhure.” Für Sekunden wusste ich gar nicht, wen er meinte. Das Wort Neger kannte ich, das Wort Hure hörte ich zum ersten Mal.
In einem Bruchteil einer Sekunde wusste ich, dass das Schlimmste sein musste. Zur gleichen Zeit sah ich eine Hand, die auf meinen Hals zuging, und da war auch schon der Schmerz. Er drosselte mich mit der einen Hand, und mit der anderen riss er mir das Halskettchen herunter. Er schlug mich mit der Faust auf den Kopf, und ich taumelte benommen rückwärts und fiel auf den Boden, nur ein paar Zentimeter von der Treppe entfernt. Ich hörte wie die Wohnzimmertüre zufiel und wieder aufging. Er tobte wie ein Wahnsinniger und schrie; “Bist Du noch immer da? Geh’ zum Teufel!” Ein Fußtritt war genug, ich fiel alle Treppen hinunter. Die Angst, er könnte nachkommen war so groß, dass ich die aufkommende Ohnmacht unterdrückte und rannte. Ich rannte zum Wehrle und versteckte mich bis zum nächsten Morgen.