13. Juli 2011
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete und Mitglieder des Deutschen Bundestages,
wir haben Ihre Reden im Bundestag 120. Sitzung vom 7.7.2011 im Internet angesehen und mussten mit Erstaunen feststellen, wie wenig informiert Sie teilweise sind über die Fakten der Heimkinderzeit, vor allem aber über die tatsächlichen Misshandlungen und deren Folgeschäden.
Deshalb erlauben wir uns, als Team EMaK der Organisation Erwachsene Misshandelt als Kinder, einen Kommentar zu einzelnen Punkten aus der Sicht der Opfer vorzulegen in der Reihenfolge der Redner.
Sehr geehrter Herr Geis,
Sie sagen:
„Die Kinder und Jugendlichen wurden dort eingewiesen, weil häufig die Eltern – oft war es nur die Mutter, weil der Vater gar nicht mehr in der Familie lebte – nicht mehr in der Lage waren, die Kinder richtig zu erziehen. Diese Kinder galten oft als ‚schwer erziehbar‘.”
Es gibt keine „schwer erziehbaren“ Kinder und schon gar keine schwer erziehbaren Babys. Es gibt nur unfähige Erwachsene. Kinder haben von Anfang an nur Bedürfnisse (verwechseln Sie diese bitte nicht mit „Wünschen“), und es ist die Aufgabe der Eltern, diese alters- und entwicklungsgerecht zu erfüllen. Die Kinder wurden entweder vernachlässigt, misshandelt oder anderweitig traumatisiert. Die Kinder reagierten darauf, indem sie ihren Schmerz ausagierten. Wir von EMaK weisen auf die wissenschaftlich belegte Erkenntnis hin, dass ein Kind das Elternhaus widerspiegelt. Gewalt und Ungehorsam werden durch die Unfähigkeit der Eltern / Erwachsenen anerzogen. Kein Kind wird gewalttätig oder ungehorsam geboren.
Es gab zahllose Gründe, warum Säuglinge, Kinder und Jugendliche in die Heime kamen. Wenn Sie heute noch der Meinung sind, dass sich die Kinder „schlecht verhalten“ hätten, stellt sich uns unweigerlich die Frage, ob Sie damit den Kindern eine prozentuale Schuld daran zuteilen?
Manche Eltern gaben ihre Kinder freiwillig ins Heim. Sie waren überfordert aufgrund der Nachkriegssituation und eigenem Trauma. Kinder wurden in jedem Fall unschuldig und willkürlich einer oftmals äußeren, aber immer auch emotionalen Verwahrlosung ausgesetzt.
Aber auch Jugendämter nahmen Müttern ihre Kinder weg, einzig und allein aufgrund der Tatsache, dass diese Frauen ledig waren, und sie steckten diese unehelich geborenen Babys in Heime. Junge Mütter, die ihre Kinder in Heimen zur Welt brachten, durften ihre Babys ebenfalls nicht behalten, sondern mussten sie zwangsweise zur Adoption freigeben. Es ist müßig, auf den traumatisierenden Schmerz sowohl bei der Mutter als auch beim Kind hinzuweisen. Auch dazu können wir Fallbeispiele liefern.
Andere Kinder versuchten, sich vor den eigenen Eltern zu schützen, um z. B. sexuellem Missbrauch oder schwerer körperlicher Gewalt zu entfliehen. Sie glaubten, im Heim ginge es ihnen besser, doch dies war ein Irrtum. Nirgendwo wurden sie geschützt.
Kinder wurden damals per Gerichtsurteil in Heime verbannt, weil nicht die Kinder, sondern ihre gleichgültigen Eltern versagten. So wurden die wahren Misshandler, die die Ursache für das Fehlverhalten der Kinder waren, geschützt und nicht die Kinder, deren Leben sich im Heim noch einmal verschlechterte. (EMaK liegen Berichte von Betroffenen vor.) Es reichte auch beispielsweise schon aus, dass ein Mädchen im Petticoat unter dem Kleid auf die Straße ging, sog. „Negermusik“ hörte oder einen Jungen küsste, um dafür als moralisch Gefallene ins Erziehungsheim eingewiesen zu werden, und dies ist lediglich ein Beispiel von vielen anderen vorgeschobenen Begründungen, mit denen ungewollte, von ihren Eltern oder Erziehungsberechtigten misshandelte Kinder in Heime abgeschoben wurden. „Wenn du nicht gehorchst, kommst du ins Heim!“ war keine unbekannte Drohung zu jener Zeit.
Die Einzelschicksale sind ebenso vielfältig wie unfassbar. Es lohnt sich, die Berichte von Betroffenen zu lesen, um das Ausmaß von Gewalt angemessen zu verstehen. (Siehe auch den Zwischenbericht RT Heimerziehung S.25)
Als weiteren Punkt erwähnen Sie:
„Im Laufe der Untersuchungen wurde festgestellt, dass in den Heimen sicherlich fürsorglich erzogen wurde; (…)“
Warum, sehr geehrter Herr Geis, erwähnen Sie das überhaupt? Wen wollen Sie schützen?
Es kann sein, dass es auch gute Erfahrungen gab, doch wir möchten Sie daran erinnern, dass es nicht die ehemaligen Heimkinder mit den guten Erfahrungen waren, die die Petition eingereicht haben, sondern die, die misshandelt wurden.
Sie sagen:
„Wir müssen ja von dem ausgehen, was sich damals abgespielt hat“.
Was hat sich denn abgespielt? Erlauben Sie uns es zu sagen:
Hierarchiedenken, Willkür, Verachtung von Kindern. Kinder wurden wie Leibeigene und als billige Arbeiter gesehen – mit anderen Worten: sie waren wertlos.
Es war die Nachkriegszeit, die Wirtschaft war im Aufschwung und brauchte billige Arbeiter. Die Heime brauchten Handlanger, die durch die gerichtlichen Einweisungen geliefert wurden.
Verschließen Sie bitte nicht die Augen vor dieser Manipulation, die auch das weitere Berufsleben der Betroffenen eklatant prägte. Es gab sogar Heime die Jugendliche unter Druck setzten Lehrverträge zu unterschreiben. So verlängerten die Heime die Aufenthalte ihrer „Zöglinge“ und behielten somit ihre billigen Arbeitskräfte.
Persönliche Begabungen und Berufswünsche wurden weder anerkannt noch gefördert; im Gegenteil, es gab, wenn überhaupt, nur die zwangsweise „Wahl“ beispielsweise zwischen Schneiderin oder Küchenhilfe. Die oftmals gerne wiederholten Beispiele, in denen das eine oder andere Heimkind das Glück hatte, durch vermögende Personen außerhalb finanziell unterstützt zu werden, so dass z.B. ein Studium möglich wurde, sind Ausnahmen und zahlenmäßig so verschwindend gering, dass sie keinesfalls maßgeblich sind. (1% der ehemaligen Heimkinder haben studiert.)
Das hat mit der in unserer Demokratie gewährleisteten freien Berufswahl nichts zu tun (GG Artikel 12). Was den ehemaligen Heimkindern folglich zum Großteil blieb, waren schlecht bezahlte und gesellschaftlich auch noch gering angesehene Berufe und fehlende Rentenjahre. Diese Menschen stehen heute kurz vor der Rente oder beziehen eine geringe Rente. Da ihnen die Zwangsarbeit der Anfangsjahre im Heim und in den Betrieben, in die sie ausgeliehen wurden oder für die sie im Heim arbeiteten, nicht bezahlt wurde und somit von den jeweiligen Firmen und Heimen keine Rentenversicherungsbeiträge abgeführt wurden, fehlen in diesen ohnehin kleinen Renten heute auch noch wertvolle Anrechnungszeiten und Beiträge.
Sie sagen:
„Es gab aber auch Verhaltensweisen, die wir heute zwar scharf missbilligen, die aber nach damaliger Praxis nicht als Unrecht angesehen wurden.“
Diese Verhaltensweisen hätten schon damals missbilligt werden müssen. Es gab zwar ein Gesetz, das Kontrolle vorschrieb, aber keine staatliche Aufsicht fühlte sich für das Wohl dieser Kinder zuständig. Im Gegenteil: Diese Kinder galten schlechthin als „Unterschichtskinder“, was nicht stimmte. Deswegen macht man heute noch einen Unterschied zwischen sexuell misshandelten Internatsschülern und misshandelten Heimkindern. Heimkinder aber kamen nie in den Genuss des Artikel 1 des Grundgesetzes.
Sie sagen:
„Aber es entstand aufgrund der damaligen Praxis so etwas wie ein rechtsfreier Raum.“
Wir sagen: In einer Demokratie gibt es keinen rechtsfreien Raum. Es gab ein Grundgesetz, Menschenrechte und die Heimaufsicht. Aber es gab Autoritäten, die die Gesetze sehr wohl kannten, diese ignorierten und deshalb an den Heimkindern ungestraft Hierarchiedenken, Verachtung und blanke Willkür ausleben konnten.
Für die ehemaligen Heimkinder ist der sog. rechtsfreie Raum ein Déjà-vu – damals rechtlos und heute wieder, obwohl sie ihre Berichte über die erlittenen Misshandlungen bis hin zum Bundestag gebracht haben.
Nun wird noch einmal innerhalb unserer Demokratie ein „rechtsfreier Raum“ geschaffen, und diesmal von der Regierung selbst, wenn der Antrag der LINKEN auf ein Entschädigungsgesetz nicht noch einmal auf den Tisch kommt. Das kann für die Betroffenen nur heißen, dass, obwohl eindeutig Gewalttaten vorliegen, die Parteien sich Jahrzehnte später weigern, die begangenen Menschenrechtsverletzungen anzuerkennen.
Sehr geehrter Herr Geis, wir appellieren an Sie und Ihre Partei, das Unrecht und die Menschenrechtsverletzung mit einer Entschädigungszahlung anzuerkennen. Schon im Abschlussbericht des RTH ist unter “immaterielle Anerkennung” (S.34) die Forderung der Heimkindervertreter nach einer offiziellen Entschuldigung dokumentiert.
„Man darf deshalb nicht alle Maßnahmen, die dort getroffen worden sind, vom damaligen Standpunkt her als Unrecht bezeichnen, wenngleich wir sie heute scharf missbilligen und heute scharf als Unrecht bezeichnen würden.“
So wie Unwissenheit vor Strafe nicht schützt, kann auch weit verbreitete, gesellschaftlich sanktionierte und allgemein praktizierte Schwarze Pädagogik niemals eine Entschuldigung oder gar schönfärbende Rechtfertigung sein für Gewalt an wehrlosen Babys, Kindern und Jugendlichen. Im Übrigen war dieser rigide Erziehungsstil der Nachkriegszeit für Kinder außerhalb der Heime nicht weniger schädlich, nur weil er innerhalb der Familie angewendet wurde. Es ist zudem eine Illusion zu glauben, gewaltsame Erziehung sei mittlerweile Geschichte, auch wenn die Zustände damals deutlich schlechter waren als heute. Gleich welche Zeit wir betrachten, ob damals oder heute – Schwarze Pädagogik und Gewalt führen unweigerlich zu Trauma. Und genau das ist der Grund warum die ehemaligen Heimkinder ihre Petition eingereicht haben – weil sie noch immer unter den Folgeschäden dieses Traumas leiden. Wie aktuelle wissenschaftliche Studien belegen, gibt es für Trauma keine Zeit, die die psychischen Wunden heilen könnte. Vielmehr bleibt es – unbehandelt – ein Leben lang bestehen und wirkt sich einschneidend auf das gesamte körperlich-psychische System und somit auf die Biografie des Menschen aus. Hierzu können wir wissenschaftliche Beweise liefern.
Ihr Hinweis, es sei auch schon Verjährung eingetreten, eignet sich für die heute Verantwortlichen gut, um sich dahinter zu verstecken und aus der Verantwortung zu ziehen. Frau Laurischk, FDP, und Frau Rupprecht, SPD, sagten im Bundestag so richtig, dass es sich um Menschenrechtsverletzungen handelte, und diese verjähren nicht.
„Man hätte sich schwergetan, solche individuellen Entschädigungsmaßnahmen durchzuführen.“
Klagen oder Anzeigen wären damals, innerhalb der Verjährungsfrist, nicht möglich gewesen. Heimkinder wurden auch nach ihrer Heimzeit missachtet. Es war sinnlos sich zu wehren, denn die Trägerorganisationen der Heime wurden geschützt. Die von der Gesellschaft stigmatisierten Opfer zogen auch Jahre später immer noch den Kürzeren.
„Allerdings meine ich auch, dass wir uns noch ein wenig Gedanken darüber machen müssen, ob nicht auch – wie beim sexuellen Missbrauch – eine Art Schmerzensgeld möglich sein muss.“
Ist Ihnen bewusst, dass die Mehrheit der misshandelten Heimkinder ebenfalls – und häufig auch schon in der Zeit vor dem Heimaufenthalt – sexuelle Gewalt erdulden musste?
Der RT sexueller Missbrauch hat ein Budget von 30 Millionen Euro für die Aufarbeitung, der RTH hatte hingegen nur ein Budget von 400 000 €. Davon musste alles finanziert werden, auch Expertisen etc. Das, so meinen wir, ist eine weitere Ungerechtigkeit den ehemaligen Heimkindern gegenüber in Bezug auf die Aufarbeitung der Heimerziehung der 50er und 60er Jahre.
Wer die Situation der Heimkinder im Detail kennt – und das sind zu allererst die Betroffenen selbst – weiß, dass der RTH die „heißen Eisen“ gar nicht angefasst hat. Die Heimopfer hätten noch so viel mehr zu berichten gehabt, was der RTH aber nicht beachtete, aber fundamentale sozialpolitische, moralisch-ethische Folgen hat.
So wurden jene Fälle nicht ausreichend diskutiert, in denen Kinder mit Psychopharmaka medikamentiert wurden, weil sie Diagnosen wie „geistig behindert“ aufgedrückt bekamen, obwohl es den Tatsachen nicht entsprach, und es waren keine Einzelfälle. (EMaK weiß von mehreren Fällen.)
Deshalb und mit allem Nachdruck weisen wir erneut darauf hin, dass es die massiven Langzeit-Folgeschäden all dieser Misshandlungen sind, die die Petition der Heimkinder überhaupt ausgelöst und nötig gemacht haben.
Heute erleben viele der ehemaligen Heimkinder (sowie alle, die als Kinder schwer misshandelt wurden,) wiederkehrende Angstzustände, leiden an schweren Depressionen, Phobien, Zwängen oder an schweren Beziehungsstörungen; sie kämpfen mit sog. Flashbacks und anderen Symptomen der posttraumatischen Belastungsstörung, die sich bis zu Persönlichkeitsveränderungen ausweiten können.
Es ist höchste Zeit, diese Folgeschäden zur Kenntnis zu nehmen, die ein unbelastetes Leben oder einen Neuanfang (hier sei der so oft gehörte „Rat-Schlag“ erwähnt: „Was geschehen ist, ist geschehen; lass es endlich in der Vergangenheit ruhen und blick nach vorn!“) unmöglich machen. Trauma ruht nicht in der Vergangenheit, es steuert die Gegenwart.
Der RTH hat keinen Vorschlag zum Thema Analyse der Folgeschäden gemacht. Es fehlt auch ein Konzept dafür, diese Folgeschäden durch psychologische Gutachten beweisbar zu machen, um die Auszahlungen aus dem 120-Millionen-Fond gerecht verteilen zu können und die nötigen selbstgewählten Traumatherapien einzuleiten.
Noch immer verweigern Sozialgerichte eine Frühverrentung von Heimopfern, die – aufgrund der Folgeschäden – nicht in der Lage waren, für eine ausreichende finanzielle Alterssicherung zu sorgen, und obwohl psychologische Gutachten vorliegen.
So bleibt für viele nur Hartz-IV und die Grundsicherung – mit dem damit verbundenen Vorwurf von „Faulheit“ und gesellschaftlichem Stigma.
In diesem einen Punkt haben Sie Recht – das Stigma der Heimkinder – es lebt noch heute.
Sehr geehrter Herr Winkler,
es war enttäuschend, Ihre Rede anzuhören, da diese nur eine Schadensbegrenzung anstrebte. Es ist bedauerlich, dass Sie nicht auf der Seite der Opfer sind und doch beim RTH und im Bundestag eine Stimme haben. Gerade Sie sollten das große Unrecht an den ehem. Heimkindern erkannt haben. Wie kann es ein, dass für die ehemaligen Heimkinder kein Geld für eine finanzielle Entschädigung vorhanden ist? Sie haben in den 50er und 60 Jahren, bis in die 70er hinein, in den Heimen ihren Teil zum Wirtschaftswunder beigetragen. Die Trägerinstitutionen, Staat und Länder haben von der Arbeit der Jugendlichen und Kinder profitiert. Kinder- und Sklavenarbeit waren aber auch damals verboten.
Wie Ihnen sehr wohl bekannt ist, wurde von Anfang an für die ehem. Heimkinder Schadensminderung betrieben. Bis zuletzt wurde den Betroffenen am RTH die kleinliche Summe von 120 Millionen Euro verschwiegen, bis man ihnen schließlich, als sie den RTH platzen lassen wollten, diesen Brocken regelrecht vor die Füße warf nach dem Motto: „nehmt es jetzt – oder lasst es ganz bleiben“. Nun, Herr Winkler, greifen Sie Abgeordnete der LINKS-Fraktion an, nur weil sich diese für Gerechtigkeit für ehemalige Heimkinder einsetzen.
Sehr geehrte Frau Rupprecht,
Sie haben Recht, das Geld darf nicht von den Ausgaben für die heutigen Kinder genommen werden, und man darf die einzelnen Kindergruppen auch nicht gegeneinander ausspielen. Das Geld muss von jenen kommen, die an dem Unrecht und der Menschenrechtsverletzung der Heimkinder beteiligt waren. Heimkinder wurden ausgebeutet zur Zeit des Wirtschaftswunders, und nun ist es an der Zeit, für Gerechtigkeit und finanzielle Entschädigung zu sorgen.
Heimopfer müssen nach bestimmten Kriterien entschädigt werden. Es darf nicht geschehen, dass sich die ehemaligen Heimkinder mit einem 120-Millionen-Euro-Fond begnügen müssen, von dem auch noch 20% für Verwaltungskosten etc. abgehen werden. Es ist bedauerlich, wenn es den Staat schmerzt, die Opfer angesichts der gravierenden Auswirkungen der Heimmisshandlungen zu entschädigen.
Sehr geehrte Frau Laurischk,
der Kampf für die ehemaligen Heimkinder ging nach der Heimentlassung weiter. Viele sind gescheitert, weil man ihnen nichts mit auf den Weg gab. Diese jungen Menschen versuchten erst einmal ihr großes Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung zu stillen. Sie kamen aus einer geschlossen Anstalt, hatten während ihrer Pubertät keine Aufklärung und keine finanzielle Unterstützung erhalten, obwohl sie in den Anstalten arbeiten mussten.
Sie wurden einfach losgelassen, und es wurde von ihnen verlangt, sich als lebenstüchtige Menschen zu beweisen. Aber das Brandzeichen „Heimkind“ zeichnete ihren Lebensweg vor bis heute.
Der RTH hat nichts zur „Ent-Stigmatisierung“ beigetragen. Er und seine akrobatischen politischen Windungen waren eine Farce. Und doch erwarten die Heimopfer, dass sie nicht noch einmal ein hierarchisches Ergebnis schlucken müssen.
Wir alle wissen, dass es der Bundesregierung unangenehm ist, die Vergehen der Vergangenheit serviert zu bekommen. Aber die Hilflosigkeit, die zerstörten Biografien und die Erlebnisse der Vergangenheit plagen die Betroffenen seit Jahrzehnten, und sie können all dies, ob sie wollen oder nicht, nicht vergessen.
Sehr geehrter Herr Wunderlich,
wir stimmen Ihnen zu:
„So viel zu der Familien- und Entschädigungspolitik dieser Regierung. Darin kann kaum eine Anerkennung des Leidens oder auch nur ansatzweise eine Schadenswiedergutmachung gesehen werden.“
Gäbe es keine Folgeschäden, wäre das Thema Wiedergutmachung und Entschädigungszahlung heute gar nicht mehr akut. Es muss ein Gesetz geschaffen werden, damit nicht noch einmal Willkür und Missachtung der Grundrechte erneutes Unrecht produzieren, da es aus Erfahrung zu befürchten ist, dass viele Anträge ohne weitere Erklärung abgelehnt werden. Vielen Dank Ihnen, Frau Dittrich und Ihrer Partei für Ihr Engagement.
Sehr geehrter Herr Kolbe,
Bei allem Engagement für die DDR-Heimkinder – dürfen wir Sie auf Folgendes aufmerksam machen:
Wir gehen davon aus, dass Sie den Abschlussbericht des RTH kennen. Dann wissen Sie auch, dass es keine offiziellen Beschwerdestellen für die westdeutschen Heimkinder gab. Sie haben sicher auch gelesen, dass selbst das Postgeheimnis von den Heimleitern gebrochen wurde, damit die schriftlichen Beschwerden der Zöglinge ihr Ziel nicht erreichten. Die isolierten Heimkinder hatten keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Aber es gab auch Heimkinder, die ausrissen, um den Jugendämtern von den katastrophalen Heimzuständen zu berichten. Das Ergebnis aber war, dass sie entweder in noch strengere Heime verlegt oder in ihre Heime zurück geschickt und in manchen Fällen mit vier Wochen Einzelhaft bestraft wurden.
Vormünder und Jugendämter interessierten sich nicht für die Beschwerden und Klagen der Heimkinder. Heimkinder hatten keine Rechtsanwälte an ihrer Seite. Sie wurden sogar massiv bestraft, wenn sie gegen die rigide Heimordnung aufbegehrten. Selbst die Bevölkerung war im Einklang mit dieser menschenverachtenden Erziehung. Einweisungsbescheide in die Heime waren auch damals schon nicht rechtens.
Selbstverständlich muss das Unrecht an den ehemaligen Heimkindern aus der ehemaligen DDR auch aufgearbeitet werden. Auch aus diesem Regime kamen Heimopfer. Wie im Westen waren die Kinder auch im Osten hilflos und konnten weder die Politik steuern noch ihre Rechte selbst vertreten.
Wenn Sie, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Erinnerungen von Opfern benötigen, so stehen wir Ihnen gerne jederzeit zur Verfügung. Wir können Ihnen auch international anerkannte psychoneurowissenschaftliche Berichte zum Thema langfristige Folgeschäden vorlegen.
Mit freundlichen Grüßen,
EMaK Team
Sieglinde W. Alexander – Gründerin
Sabine Becker – Lektorin
Therapeutin für Psychotherapie (HPG) in München
Sonja Djurovic – PR für Heimopfer
Mitglied des Runden Tisches Heimerziehung Feb. 2009 – Dez. 2010